Das Digitale Forum Mittel- und Osteuropa e.V. widmet sich seit dem 1. November 2021 der Realisierung einer digitalen Sammlung zur "Kulturhauptstadt Europas Temeswar 2023" und knüpft so an die erfolgreich durchgeführten Digitalis-Projekte (Kaschau/Košice 2013, Riga/Rīga 2014, Pilsen/Plzeň 2015, Breslau/Wrocław 2016) bzw. die nach gleichem Muster konzipierten Sammlungen zu Brünn und Pressburg an. Auch wie diese wird das Projekt "Sammlung Temeswar" von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.
Im Mittelpunkt steht die Digitalisierung, Volltexterkennung und Onlinestellung von 190.000 Seiten der Temesvarer Zeitung (erschienen 1852-1940, 1944-1949). Nach Jörg Riecke gilt das Periodikum "als politisch-wirtschaftlich bedeutendes Informationsblatt, das im Banat weite Verbreitung fand". Zunächst herausgegeben von der Wiener Regierung als offizielles Amtsblatt für das in Folge der Revolution von 1848/49 geschaffene Kronland Woiwodschaft Serbien und Temescher Banat ähnelte sie bis Ende 1860 strukturell der amtlichen Wiener Zeitung und vertrat auch politisch die Perspektive der Zentralmacht in Wien. Nach Auflösung des Kronlandes und der Eingliederung seines Territoriums in das Königreich Ungarn wurde die Temesvarer Zeitung 1861 privatisiert. Ihr erster Eigentümer wurde Carl Hirschfeld, der von 1857-1858 bereits in amtlicher Funktion mit der Leitung betraut war. 1864 verkaufte er sie an Martin Uhrmann, blieb aber noch bis 1866 Teil der Redaktion, als die Zeitung von Michael Niamessny übernommen wurde und jetzt von der politischen Richtung des ungarischen Ausgleichs und der Magyarisierung, verkörpert von der Partei Ferenc Deáks, bestimmt werden sollte. Bis 1868 hatte sie als Tageblatt eine Monopolstellung in Temeswar inne. Die nächste große Veränderung kam 1912 mit der Fusion von Temesvarer Zeitung und Neuer Temesvarer Zeitung und der redaktionellen Übernahme durch den Theaterkritiker Anton Lovas, in dessen Folge vor allem auch kulturelle Themen noch stärker in den Vordergrund traten. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland setzte sich die Temesvarer Zeitung für Gegner und Verfolgte des Regimes ein und wurde aufgrund ihrer nach wie vor mehrheitlich liberalen Gesinnung zwischen 1940 und 1944 verboten. Im selben Jahr konnte sie ihre Tätigkeit zwar wieder aufnehmen, jedoch nur bis zur Zentralisierung des rumänischen Pressewesens 1949.
Die Digitalisierung der prominentesten überregionalen deutschsprachigen Zeitung Temeswars wird durch die Komplettierung der jüdischen Wochenzeitung Neue Zeit (nachgewiesen 1922-1940) ergänzt (ca. 5.000 Seiten). Ihr in der Digitalen Bibliothek des DiFMOE bereits vorhandener Bestand (1923-1930) stammt aus dem BKM-geförderten IOS-Projekt "Jüdische deutschsprachige Periodika aus dem östlichen Europa. Digitalisierung und Dokumentation historischer Zeitungen, Volkskalender und bildlicher Darstellungen osteuropäischer Juden". Laut Beschreibung des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) enthält "die Neue Zeit [.] Nachrichten aus dem In- und Ausland zur Gleichstellungsfrage, zum Leben jüdischer Gemeinden sowie essayistische Texte". Neben der Neuen Zeit werden auch alle anderen "Altbestände" in der Digitalen Bibliothek des DiFMOE mit direktem Bezug zu Temeswar in die neue Kollektion integriert. Namentlich sind das die Banater Deutsche Zeitung (1925-1941), die Kulturzeitschrift Von der Heide (1909-1937), die Jüdische Woche (Zsido Hét, 1932), der Israelitische Kalender (1926-1930) und das Jüdische Jahrbuch (1935/36).
Erweitert wird die Sammlung Temeswar durch eine Auswahl an Büchern, historischen Ansichtskarten, Archivalien, Fotografien, Landkarten und Stadtplänen sowie Theaterplakaten. Der fokussierte Zeitraum spannt sich dabei vom 17. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Einzelfällen werden auch noch Objekte darüber hinaus mit einbezogen, sofern die Urheber- und Nutzungsrechtfragen geklärt sind. Bei den ausgewählten bzw. noch auszuwählenden Titeln handelt es sich im Wesentlichen um solche, die in Temeswar selbst gedruckt wurden. Die Recherche nach bereits erschlossenen und weiteren, weniger bekannten oder sogar unbekannten relevanten Quellen, ist Bestandteil des Projektes. Hierzu zählen auch solche Werke, die zwar außerhalb Temeswars produziert/publiziert, aber von Temeswarer Autorinnen und Autoren verfasst wurden und/oder Temeswar zum Gegenstand haben. Im Sinne der qualitativen Aufbereitung von digital zu Temeswar bereits vorhandenem Material werden außerdem die zahlreich vorhandenen Werbeanzeigen aus einem Teil der Jahrgänge der jüdischen Wochenzeitschrift Neue Zeit extrahiert und als eigenständige Dokumente in die Sammlung Temeswar integriert. Auf diese Weise soll dem Nutzer ein Eindruck von der vielfältigen jüdischen Geschäftswelt in der Zwischenkriegszeit vermittelt werden, welche kurz darauf, als Folge von Shoa und Emigration, aufhörte zu existieren.
Ursprünglich war vorgesehen, je nach Komplexität der Objektbeschreibungen, eine Einzeldokumentenanzahl von etwa 1.400 zu erreichen. Diese Zahl wurde aufgrund der hervorragenden Vorarbeiten unserer Kooperationspartner mit 2.000 im Oktober 2023 deutlich überschritten. Wesentliches Ziel ist dabei, sowohl einem historisch interessierten Laienpublikum die multiethnische Geschichte der Kulturhauptstadt Temeswar näher zu bringen als auch der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft wichtige und bis dato nicht über das Internet frei zugängliche Quellen zur Verfügung zu stellen.
Partner für die Ausleihe der Vorlagen zur Digitalisierung:
Die Auswahl des Materials erfolgt in Zusammenarbeit mit den Partnern. Publikumsinteresse (auch und vor allem auf Basis der Erfahrungen im Kontext der eigenen abgeschlossenen Projekte) und wissenschaftliche Relevanz stehen handlungsleitend im Vordergrund.
Insgesamt ist im Rahmen der BKM-geförderten Maßnahmen die Digitalisierung von 240.000 Seiten vorgesehen. Dazu kommen bis zu 40.000 Seiten aus Beständen und Eigenmitteln des Instituts für Auslandsbeziehungen. Die Temeswarer Sammlung soll auch nach Ende des Förderzeitraums (1.11.2021-31.10.2023) in weiteren Projekten sinnvoll fortgesetzt bzw. ergänzt werden, wie es beispielsweise in der jüngsten Vergangenheit im Nachgang des Projektes "Jüdisch-Deutsche Bukowina 1918+" geschehen ist.
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